Aragon, 10 Jahre, PRE
Mein Nachwuchspferd Aragon kam dreijährig zu mir und entpuppte sich als echte Herausforderung. Er war und ist extrem selbstsicher, eigenwillig und «beratungsresistent», dazu hat er einige gravierende Gebäudemängel. Mit viel Hilfe durch sehr guteKa Reitlehrer entwickelte er sich dennoch über die Zeit recht gut, auch wenn ich immer unzufrieden mit seiner Rückentätigkeit war. Er ist ziemlich überbaut, hat eine steile Hinterhand und einen etwas weichen Rücken und neigt dazu, diesen festzuhalten und nach unten wegsacken zu lassen. Er war immer tendenziell vorderlastig und ihn aufzuwölben war irrsinnig schwierig, und dagegen ritt ich mehr oder minder erfolgreich an – bis er irgendwie immer unwilliger wurde, zum Teil richtig streikte, mir die Zügel aus der Hand riss, grundlos buckelte usw. Sein Rücken begann sich abzusenken und er signalisierte mit allem, was er hatte: «So nicht!»
Nachdem alle möglichen Tierärzte, Osteopathen, Sattler usw. nichts fanden und auch ein längerer Koppelurlaub keine Besserung brachte, überlegte ich, ihn in Beritt zu geben, da es dann ja wohl an meinem Reiten liegen musste. Doch wohin? Irgendwie bezweifelte ich, dass «normaler» Beritt das Problem beheben würde, das für meine Begriffe von seinem ungünstigen Rücken/Hinterhand und seinem noch ungünstigeren Umgang damit ausging, und dieser Teufelskreis musste nachhaltig unterbrochen werden – und ich fand es wahrscheinlicher, das zunächst mal ohne Reiter zu erreichen. Zudem hatte ich das Gefühl, dass ich mir keinen Fehlversuch leisten konnte, ohne dass das Pferd, wie gesagt ohnehin schon sehr eigenwillig, endgültig dichtgemacht hätte.
Im Longieren bin ich ein ziemlicher Fuchs, ich habe das von der Pike auf gelernt, kenne mich mit so ziemlich allen Methoden und Hilfszügeln aus. Dadurch, dass ich meinen alten Andalusier aufgrund von Schwangerschaft meinerseits und muskulären Problemen seinerseits über lange Zeit ausschließlich longiert habe und das nicht zu eintönig gestalten wollte, habe ich allen möglichen «Quatsch» mit ihm gemacht. Er geht inzwischen an der Longe Piaffe, Passage, Pirouetten, Außengalopp, Wechsel usw., also ich denke, ich kann behaupten, dass ich meine Körpersprache und Hilfengebung an der Longe gut im Griff habe.
Trotzdem bin ich an Aragon «gescheitert», mit allen mir bekannten Methoden gelang es mir nicht, ihn an der Longe zum reellen Aufwölben des Rückens zu bringen. Mit diversen Hilfszügeln stellte er sich nur hin oder verkroch sich hinter die Senkrechte, machte den Hals eng oder ging dagegen. Ohne Hilfszügel und nur mit Kappzaum gelang es ihm ebenfalls konsequent, sich dem Aufwölben zu entziehen. «Zwingen» kann man ein Pferd dazu eben nicht. Auch Cavalettitraining in verschiedenen Varianten brachte absolut nichts außer ein noch festgehalteneres Pferd.
Ich hatte bereits mit dem «alten» Andalusier einige Schiefentherapie-Kurse bei Klaus Schöneich besucht und davon auch viel profitiert, auch wenn die Longenarbeit so komplex und filigran ist und man dabei so schnell daneben liegen kann, dass ich es letztlich nicht weiterverfolgt hatte. Auch hatten Schöneichs damals noch nicht so viel Emphasis auf die spätere Umsetzung in den Sattel gelegt, was ich wenig hilfreich fand. Aber schon auf diesen Kursen hatte ich erstaunliche Entwicklungen bei einigen Pferden mitbekommen und nun fiel mir das wieder ein. Nach einem ausführlichen Telefonat mit Schöneichs beschloss ich, den Versuch zu wagen.
Wie jedes Pferd dort wurde Aragon erstmal gründlichst gecheckt (Zähne, Hufe, Allgemeinzustand, Chiro usw.) und dann zum ersten Mal longiert. Dabei schicken Schöneichs die Pferde auf eine sehr kleine Kreislinie, um zu schauen, wie sie damit umgehen. Welches Bein weicht wohin aus, wie ist die Händigkeit ausgeprägt? Bei Aragon war schnell deutlich, dass er, neben dem festgehaltenen Rücken, sehr schief ist und vor allem auf der rechten Hand überhaupt keine Linie halten konnte.
Die Arbeit im Roundpen begann. Ganz grob ausgedrückt machen Schöneichs dabei das, was man gemeinhin über das Vorwärts-Abwärts zu erreichen versucht, über die laterale Biegung/Dehnung, die man viel besser und exakter beeinflussen und nutzen kann (wenn man es denn kann), um den Rücken aufzuwölben und zum Schwingen zu bringen. Sie longieren nur am Kappzaum mit kurzer Bogenpeitsche und bringen die Pferde nach und nach zu innerer und äußerer Losgelassenheit und dazu, das Gewicht von der inneren Schulter aufs äußere Hinterbein zu nehmen und mit dem inneren weiter unterzuschwingen. Ganz kleinschrittig lösen sie dabei Stück für Stück einzelne Muskelpartien und bringt das Pferd behutsam ins Gleichgewicht. Das sieht alles nach nicht viel aus, weil die Pferde eben gefühlt so im Kreis daherschlappen, aber wenn man genau hinsieht und den Blick schult, lernt man zu sehen, was genau da passiert.
Durch das ruhige Tempo und die Stabilisierung durch den außen begrenzten Roundpen bleibt das Pferd von Anfang an aufrecht (kommt also nicht in Schräglage beim Longieren) und die Zentrifugal- und Scherkräfte werden minimal gehalten. Nach zwei Wochen bei Schöneichs begann Aragon, sich loszulassen und «einzulassen», in Balance zu kommen und vor allem mit dem Rücken erstmals nach OBEN zu schwingen. Allerdings attestierten mir auch Schöneichs, dass das Pferd eine extrem harte Nuss mit sehr vielen Vermeidungstaktiken ist. Nach sechs Wochen wurde er dann unter den Sattel genommen. Das Ziel ist, dass das Pferd sein neues Bewegungsgefühl und Gleichgewicht so verinnerlicht hat, dass es das auch mit Reiter beibehält und nur noch ab und zu daran erinnert werden muss, die Schulter anzuheben usw. Das klappt nicht immer, aber erstaunlich oft. Aragon machte seine Sache sofort so gut, dass Schöneichs ihn als Demo-Objekt mit auf die Eurocheval nahmen.
Ich war mehrmals am Wochenende dort und bekam intensiven Unterricht, sowohl im Longieren als auch im Sattel. Beim Reiten war alles sehr logisch und nachvollziehbar, es gab absolut keine Widersprüche zu dem, wie ich bisher geritten war, da Schöneichs keine Reitweise lehren, sondern «nur» biomechanische Prinzipien. Herr und Frau Schöneich sind auch sehr pragmatisch, was die Ausrüstung angeht. Manche Dinge haben sich bewährt, die benutzen sie (zum Beispiel nehmen viele Pferde die Arbeit mit schweren, offenen Westernzügeln sehr gut an, vielleicht auch weil die Reiter damit nicht ziehen können und ihre eigenen eingeschliffenen Bewegungsmuster unterbrechen – mein Pferd kam mit den losen Enden nicht klar und wurde mit normalen Zügeln geritten). Ich musste also jetzt auf ein paar Dinge besonders achten (Anheben der Schulter, Standbein/Spielbein bewusst durch eigenes Sitzen beeinflussen, laterale Dehnung und auf die äußere Hinterhand setzen) und hatte ein im Gleichgewicht befindliches und mega bemuskeltes Pferd unter mir, das mit den Vorderbeinen teilweise den Boden nur noch «betupfte», weil es so stark den Brustkorb anhob. Auch psychisch war er positiver und stabiler als je zuvor, normalerweise hätte er bei der Geräuschkulisse auf der Eurocheval sonstwas angestellt, aber er arbeitete total gut mit.
Ich hatte das große Glück, dass der Bereiter des Zentrums für ARR, Martin Hänni, kurze Zeit später in meine Nähe zog, sodass ich bei ihm Unterricht nehmen konnte. Mein Pferd ist nach wie vor sehr kooperativ und ich konnte das Meiste aus der Zeit «herüberretten» und manches noch verbessern. Die extreme Anhebung der Vorhand habe ich nicht so nachhalten können, aber die starke Vorderlastigkeit ist Geschichte, ebenso wie die Widerspenstigkeiten und der festgehaltene Rücken. So oft wie möglich habe ich auch bei anderen dort gearbeiteten Pferden zugesehen, viele Fragen gestellt und sehr viel über Biomechanik und Feinheiten der Schiefentherapie gelernt. Ebenfalls sehr interessant war der Expertentag mit Gerd Heuschmann, Jan Nivelle und der Dressurreiterin Elisabeth Eversfield, die damals alle ihre Pferde nach/mit Schöneich ausbildete.
Mein Fazit ist, dass Schöneichs eine sehr wertvolle, aber durch ihre unspektakuläre Art und filigrane Ausführung extrem schwer zu «begreifende» und nachzuvollziehende Arbeit machen, die sicher nicht für jedes Pferd und jedes Problem die alleinseligmachende ist, aber wirklich beeindruckende Ergebnisse besonders bei Pferden mit Rückenproblemen und starker Händigkeit (und daraus resultierenden unklaren Lahmheiten, Fesselträgerschäden usw.) vorzuweisen hat. Das Zentrum für ARR steht voll mit austherapierten Pferden, die zum Teil schon jahrelang unreitbar waren, und sie bekommen einen beeindruckenden Prozentsatz davon wieder hin. Ich konnte z. B. die Entwicklung einer Friesenstute beobachten, die seit mehreren Jahren ununterbrochen hinten Taktfehler hatte und/oder deutlich lahmte. Die verzweifelten Besitzer hatten bereits alles nur Erdenkliche versucht und machen lassen inklusive Szintigrafie etc. Das Pferd ging bei Schöneichs schon nach zwei Longeneinheiten lahmfrei, obwohl sie noch weit entfernt von geradegerichtet war.
Das einzig «Blöde» ist, dass man das nicht einfach mal so nachmachen oder anhand eines Buchs oder Videos erlernen kann. Selbst nachdem ich jetzt so viel zugeschaut, das Prinzip verinnerlicht und von Schöneichs angeleitet wurde, merke ich selbst immer wieder, dass über 20 Jahre Erfahrung mit hunderten von Pferden natürlich nicht einzuholen sind. Trotzdem reicht es für den «Hausgebrauch» und ich bin froh, mein Pferd dort hingeschickt zu haben und ein unschätzbares Tool für die Arbeit mit Pferden generell kennengelernt zu haben. Sollte ich mir nochmal ein junges Pferd anschaffen, würde ich dieses auf jeden Fall VOR dem Anreiten für einige Wochen zu Schöneichs geben und dort geraderichten lassen, um es bestmöglich auf sein Reitpferdedasein vorzubereiten.