Gedanken über die Verantwortung für das Pferd
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN hält in ihrer Broschüre «Die ethischen Grundsätze des Pferdefreundes» als ersten ethischen Grundsatz fest: «Wer auch immer sich mit dem Pferd beschäftigt, übernimmt die Verantwortung für das ihm anvertraute Lebewesen.» Doch was genau bedeutet, Verantwortung für das Pferd zu übernehmen?
Oft werden keine Kosten gescheut, um dem Pferd einen schönen Stall mit gutem und reichlich Futter und hoffentlich auch viel Auslauf und Sozialkontakt zu anderen Pferden zu ermöglichen. Bei jedem Kratzer wird der Tierarzt gerufen – man will sich ja keine Nachlässigkeit vorwerfen lassen! Auch der Schmied kommt pünktlich alle 7 Wochen und in regelmäßigen Abständen renkt der Chiropraktiker wieder alle Gelenke ein. Man vertraut auf die Empfehlungen der Stallkollegen und gönnt sich und seinem Pferd einen Maßsattel einer bekannten Marke – der meistverkaufte, der eigentlich auf alle Pferde passt, wie der Sattler mit klingendem Namen verspricht. Auch bei der reiterlichen Ausbildung ist kein Aufwand zu groß: Die erfolgreiche Turnierreiterin auf S-Niveau bietet im örtlichen Reitverein Unterricht an, den man sich nicht entgehen lässt.
Und dann treten trotzdem schleichend Probleme auf. Das Pferd baut nicht wunschgemäß Muskeln auf, die Ausbildung stagniert und die turniersportlichen Ambitionen können nicht erreicht werden, vielleicht wirkt das Pferd gar apathisch oder umgekehrt hysterisch oder es treten unerklärliche intermittierende Lahmheiten auf. Was ist schiefgelaufen? Und wer trägt die Verantwortung dafür, dass das Pferd ganz offensichtlich nicht bei optimaler Gesundheit ist, obwohl man von lauter ausgewiesenen Fachleuten umgeben ist, die wiederum allesamt jede Verantwortung von sich weisen bzw. dem nächsten Fachmann den schwarzen Peter zuschieben?
Verantwortung übernehmen setzt Wissen voraus. Nur wenn ich anhand von fundierten Kenntnissen einschätzen kann, ob die Fachperson, die ich ins Boot hole, ihren Teil zum Wohlergehen des Pferdes wirklich beitragen kann, nehme ich meine Verantwortung als Pferdebesitzer tatsächlich wahr. Dieser Verantwortung kann ich mich nicht entziehen. Verantwortung übernehmen heißt handeln statt behandeln.
Deshalb ist es uns im Zentrum für Anatomisch Richtiges Reiten ARR ein großes Anliegen, nicht nur Pferde auszubilden oder zu therapieren, sondern auch die Pferdebesitzer zu aktiven und wissenden Akteuren zu machen, die tatsächlich die Verantwortung für ihr Pferd übernehmen können. Wir lehren die Pferdebesitzer, hinzuschauen und ihr Pferd zu «lesen». Denn das geschulte Auge kann am Pferd erkennen, ob die renommierte Fachperson, auf die wir vertrauen, ihrem Ruf auch gerecht wird. Das kann durchaus auch schmerzlich sein, denn wer Verantwortung trägt, muss auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Freundschaften können auf eine harte Probe gestellt werden, wenn eine langjährige Zusammenarbeit beendet wird, weil sie für das Pferd nicht gut ist. Man wird belächelt, ausgegrenzt, vielleicht sogar beschimpft, wenn man seinen eigenen Weg bzw. den Weg des Pferdes geht. Doch der Pferdebesitzer, der sein Handeln anhand seines umfassenden Wissens erklären kann, erntet auch Respekt und Anerkennung. Und am Ende werden die Pferde sagen, welcher Pferdebesitzer seiner Aufgabe wirklich gerecht wird und seine Verantwortung bis in die letzte Konsequenz wahrnimmt. Denn es wird durch seinen imposanten Ausdruck, seinen unermüdlichen Leistungswillen, seine solide Gesundheit und seine enge Beziehung zum Besitzer auffallen.